Die bauliche Entwicklung Tiengens

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Die bauliche Entwicklung Tiengens

Richard Weber:

Um Mitte des 5. Jahrhunderts wichen die Römer, welche auch unser Gebiet ca. 300 Jahre beherrscht hatten, von den anstürmenden germanischen Völkern zurück. Nach dem Abklingen der Völkerwanderung siedelten die Stämme und Gruppen in den neu gewonnenen Gebieten. Bei uns waren dies die Alemannen. Mittels Landrodung wurden neue Flächen für Landwirtschaft und Besiedelung geschaffen.

Das beginnende Hochmittelalter (Mitte 11. Bis Mitte 13. Jh.) war geprägt vom Lehnswesen. Wer sich als tapferer Krieger oder sonst wie hervorgetan hatte, dem wurde die Herrschaft über einen Landstrich und den darauf befindlichen Menschen als Lehen verliehen. Der Lehnsnehmer hatte in aller Regel das Recht eine Burg zu bauen, Symbol von Macht und Sicherheit zugleich. Von wem die erste Burg in Tiengen erbaut wurde, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Sie stand auf dem jetzigen Kirchvorplatz und wurde wohl um das Jahr 1000 errichtet. Teile des heutigen sog. Kleinen Schlosses gehen auf diese Burg zurück. Ebenfalls auf dem Burgberg wurde eine erste Kirche erbaut. Unterhalb, Richtung Osten, entstand das Städtchen.
Um das Jahr 1100 hatte sich Tiengen zur umwehrten Stadt entwickelt. Das setzte voraus, dass eine Stadtmauer und mindestens zwei Tore vorhanden sein mussten. Herrschaft war jetzt das Geschlecht der Krenkinger, sie behielten diese für die nächsten drei Jahrhunderte.
Das Städtchen selbst sah zunächst so aus: Hauptstraße war die heutige Priestergasse, sie führte von Ost auf den Kirchturm, auf eine Länge von ca. 100 m zu. Also ein Ministädtchen mit ca. 500 Einwohnern, die hauptsächlich Händler oder Handwerker waren. Im Hinterhaus befand sich meistens eine Stallung für Kleinvieh. Bald wurde es zu eng. Die Erweiterung erfolgte wie andernorts zwiebelschalenförmig.
Im 13. Jahrhundert wurde die Hauptstraße an die heutige Lage verlegt, neue Tore wurden im Westen bei der Storchenapotheke und im Osten bei der Metzgerei Wegmann erbaut. Im Jahre 1243 wurde Tiengen das Stadtrecht zugesprochen. Lebenswichtig für die mittelalterliche Stadt war der Talbach. Seine Abzweigungen versorgten die städt. Brunnen mit Frischwasser, sie trieben die Mühlen an und beförderten die Abwässer aus der Stadt. Im Schweizer Krieg von 1499 wurde die Stadt vollends zerstört. Beim folgenden Wiederaufbau legte man die Stadtmauern so großzügig, dass sich die bauliche Entwicklung bis etwa zum Jahre 1800 innerhalb der Mauern vollziehen konnte. Nach diversen Eigentumswechseln ging die Herrschaft im Jahre 1482 an die Grafen von Sulz über. Tiengen war jetzt Hauptort des Klettgaus, d. h. Verwaltungsmaßnahmen wurden von hier wahrgenommen.
Anfangs des 17. Jh. erbauten die Sulzer das Neue Schloss. Wegen der ärmlichen Zeit (30jähriger Krieg) ist das äußere Erscheinungsbild ziemlich schmucklos ausgefallen. Aber das Schloss hat auf Grund seiner hervorragenden Lage stadtbildprägenden Charakter. Im Innern gibt es ein paar schöne Säle mit dekorativen Stuckdecken. Im Jahre 1687 übernahmen die Schwarzenberger die Herrschaft der Stadt und des Klettgaus. Sie behielten diese bis zum Jahre 1812, dann kam Tiengen zum neu gegründeten Land Baden. Die Schwarzenberger erbauten eine neue Kirche, die 1753 fertiggestellt wurde. Baumeister war der berühmte Peter Thumb, der u. a. in St. Peter, Birnau und auch im schweizerischen St. Gallen tätig war. Die Kirche ist als Hallenkirche, im spätbarocken Stil erbaut. Wenn man bedenkt, dass das Städtchen zur damaligen Zeit knapp 800 Seelen umfasste, muss man schon sagen, Hut ab.

In der Neuzeit, etwa ab dem Jahr 1800 beginnt die bauliche Tätigkeit außerhalb der Altstadt. Im Westen die sogenannte Waldshuter Vorstadt und im Osten die Schaffhauser Vorstadt. Im Jahre 1866 wurde Tiengen an die Bahnlinie Basel – Konstanz angeschlossen. Industrien siedelten sich an, z. B. Gipsfabrik, Zigarrenfabrik, Webereien etc. Anfangs des 20. Jh. hatte Tiengen etwa 2900 EW.
Um die Jahrhundertwende wurde die evang. Kirche im neugotischen Stil und ebenso die Johann Peter Hebel Schule erbaut. Mitte der 30iger Jahre wurde die südliche Umgehungsstraße, die jetzige Klettgaustraße gebaut. Bis dahin rollte sämtlicher Verkehr durch die städtische Hauptstraße, nach heutigen Verhältnissen unvorstellbar.

Nach dem 2. Weltkrieg, die Stadt hatte jetzt ca. 4000 EW, begann eine rasante Entwicklung. Infolge Zuzug von Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten herrschte Wohnungsmangel. Nach 1950 entstand die Neue Heimat, vis a vis des RWE Elektro-Umspannwerkes, in Tiengen „Katholische Siedlung“ genannt und die Siedlung westlich der MOWAG – Tankstelle, die „Evangelische Siedlung“. In den 60iger Jahren begann die Bautätigkeit südlich der Umgehungsstraße, hauptsächlich Geschoßbauten und das neue Schulzentrum mit Gymnasium, Realschule, Behindertenschulen, Sporthallen etc. Mit der Erschließung der Baugebiete Übertal, Im Klingnauer und Mittlerer Berg, von Gewerbegebieten und dem Bau von Einkaufsmärkten im Westen in den 70iger Jahren, findet die bauliche Entwicklung Tiengens ein vorläufiges Ende.
Anfangs der 80iger Jahre wurde die Fußgängerzone der inneren Hauptstraße angelegt. Die Bevölkerungszahl der Kernstadt Tiengen, ohne Ortsteile, ist bis dato auf annähernd ca. 10000 EW angewachsen.

Ausblick: Anlässlich einer Bürgerversammlung wurde im Jahre 2015 eine künftige Entwicklung auf dem Areal Parkplatz Umgehungsstraße und im Bereich Volksbank vorgestellt. Seitdem rätseln die Tiengener, waren das nur Planspiele oder passiert tatsächlich etwas.