Architektur strahlt (anders)

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Architektur strahlt (anders)

Wolfgang Bachmann aus: Baumeister Zeitschrift für Architektur Mai 2010

Mit Architekturglossen verhält es sich ähnlich wie mit der Pampelmusen-Diät. Es darf alles drin vorkommen, nur keine Architektur. Andererseits: Man sollte keine Gelegenheit auslassen, um zwischen Architektur und Gesellschaft eine Verbindung zu suchen.
Da haben wir uns gerade wieder in einen dieser Medienmärkte verlaufen, denn Geiz ist geil, und wir sind doch nicht blöd. Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier schon einmal etwas gekauft habe, aber ich besitze solche Geräte, wie sie hier angeboten werden. Das nur, damit Sie nicht glauben, ich sei ein weltfremder Schrat. Allerdings gebe ich zu, inzwischen kenne ich die meisten der unübersehbar vielen, auf mehreren Etagen ausgestellen Artikel überhaupt nicht. Man kann damit knipsen, hätte man früher gesagt, Radio hören oder fernsehen, auch filmen oder Töne aufzeichnen, natürlich jemanden anrufen. Also sich informieren, unterhalten und kommunizieren. Gemeinsam ist den Geräten, dass sie alle einen Stecker und einen Akku besitzen. Sie verbrauchen also Strom (standby!) und enden später als giftiger Sondermüll. Ich stelle mir einen fundamentalistischen Ökoapostel vor, der wie Jesus die Tempelhändler die Kunden aus dem Laden jagt, weil er hier die Vorhölle der Umweltzerstörung sieht. Aber, werden Sie einwenden, diese Instrumente nützen uns doch auch: Mit einem iPhone kann man zum Beispiel das Schmelzen der Gletscher filmen und zum Beweis ins Internet stellen. Da haben Sie auch wieder Recht.

Die Voraussetzung für dieses Elektronik-Wunderland war, dass man vor einigen Jahrzehnten aus Silizium Computerchips für integrierte Schaltungen herstellen konnte. Diese Halbleitertechnik diente zunächst dem Militär. Dort wurden Computer, Laser, GPS und das Internet benötigt, um die Kernspaltung zu kontrollieren, sicher Daten auszutauschen, Lenkwatten zu steuern. Die massenhafte und immer billiger werdende Herstellung der Chips hat anschließend diesen riesigen neuen Markt der Unterhaltungs- und Informationsbranche entstehen lassen. In Stephan Trübys Bändchen „Hertzianismus“ lesen wir die Theorie Heiner Mühlmanns, als Triebfeder der technischen Evolution habe sei je die Kriegsvorbereitung gedient, ihr sei anschließend die Kulturelle Evolution als Nachbereitungsphase gefolgt. Also müssen wir auf einen Waffengang zwischen dem Iran und Israel warten, bis die Plasma-Fernsehgeräte billiger werden?
Diese originelle, allerdings fürchterliche Reduktion der Kulturentwicklung passt gut in so ein Medienkaufhaus, denn der Fortschritt bei den Radiofrequenzen, so lesen wir weiter, lasse sich getreu in der Kriegsführung verfolgen. Auch die Architektur sei von diesem „Strahlenwissen“ beeinflusst. Das werfe „ein neues Licht auf das Verhältnis von avancierter Technik und moderner Architektur“.
Im dritten Maschinenzeitalter, für das sich der Begriff Hertzianismus anbietet, sei das Facility Management mit seiner Rechner-Allgegenwart dabei, die Architektur vollkommen zu verändern.
Da wäre es doch an der Zeit, dass ich „die wachsende elektromagnetische Sensibilität“ ein wenig verstehe, begreife, was in den Speichern und auf den Bildschirmen passiert, was diese ganzen kabellosen Verbindungen leisten. Sie übertragen Daten zwischen Rechnern, das klingt gar nicht unterhaltsam. Aber es ist kinderleicht hinzukriegen. Und wir dürfen sicher sein, kein einziger Mitarbeiter in diesem Großladen könnte uns erklären, was dabei eigentlich passiert. Sie müssen nur wissen, welches Teil eine höhere Auflösung hat, schneller getaktet ist, mehr Pixel liefert oder in andere Netze Zugang findet. Anwenderprosa eben.
Was weiter auffällt, ist das Publikum. Meistens sind es jüngere Leute, viele dunkle Männer mit starkem Bartwuchs. Sie sprechen dieses hastige Migrationsdeutsch mit den verschluckten Endungen, das immer nach vorwurfsvollem Befehlston klingt: Isch Problem, USB nischd passe. Du habe andere? Auch die Verkäufer beherrschen dieses Hilfsidiom. Es geht um technische Details, um HDTV, MMS, WLAN, DVB-T, THX, MPEG-2- und Ratenzahlungen. Ein soziologisches Netzwerk ist entstanden, zu dem ich erst recht keinen Zugang habe. Die jungen Männer machen mir Stress, sie kennen diese kleinen Geräte, können sie bedienen, sie sprechen eine andere Sprache oder meine Sprache anders. Sie pflegen ihre eigene Kultur, einen Cyberspace oder bereits einen privaten Cyberstate? Wie können wir ihnen die lebensnotwendigen Themen nahe bringen? Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz, Ökologie? Einfache zivile, soziale Themen, Dazu braucht man wirklich keinen Krieg!